Hans Kammerlander über die Drei Zinnen – alpines Sehnsuchtsziel schlechthin
Wer mich kennt, weiß: Ich mag keine überlaufenen Berge. Jene alpinistischen Ziele also, die Menschen im Tourenbuch abhaken, um sagen zu können, dass sie oben standen. Mit einer Ausnahme: die Drei Zinnen. Diese Berge in den Sextner Dolomiten sind für mich etwas Besonderes, obwohl um die imposanten Zacken herum ein kompletter Markt entstanden ist. Wenn du im Sommer um 7 Uhr morgens nicht in den Startlöchern stehst, kommst du nicht mehr zum Ausgangspunkt an der Auronzohütte, weil die Parkplätze bereits voll sind. Das Ziel der Ausflügler ist nicht etwa einer der verschiedenen Gipfel der Formation, sondern die einfache Umrundung des Massivs. Wanderer ziehen Hunde an der Leine nach sich oder schieben den Kinderwagen vor sich her. Es ist laut und überfüllt. Doch wenn du den Weg verlässt und in die Wände aufsteigst, lässt das Geschrei und Gewimmel schlagartig nach. Dann öffnet sich eine ruhige und beeindruckende Welt, die für mich immer noch ein Traum ist.
Diese Faszination begann für mich schon früh. Seit ich als kleiner Bub in der elterlichen Stube am Radio hing und verfolgte, wie die drei Sachsen Peter Siegert, Gerd Uhner und Reiner Kauschke im Winter 1963 in 16 Tagen die Direttissima an der Großen Zinne wagten, ging mir der Berg nicht mehr aus dem Kopf. Mit 23 Jahren stieg ich die Nordwand nach oben. Ohne Seil. Es war die erste Solobegehung der Direttissima und viel mehr als das: Es war der Türöffner meiner Kletterkarriere und schließlich auch zum Höhenbergsteigen. Wie ein Lauffeuer ging mein Abenteuer durch die Südtiroler Kletterwelt. Leute kamen auf mich zu, wollten Touren mit mir machen, allen voran Friedl Mutschlechner. Diese Route gehörte damals sicher zu den schwierigsten in den Dolomiten. Auch das war wohl mit ein Grund, warum mich Reinhold Messner als Bergführer in seine Alpinschule holte. Der Rest: Geschichte.
Aus heutiger Sicht ist die Leistung der Pioniere am Berg noch viel höher einzuschätzen. Paul Grohmann, der 1869 zusammen mit Franz Innerkofler der Erstbegeher war, beeindruckt mich immer noch mit seinem Mut, es überhaupt nach oben zu wagen. Die Aktion der drei Sachsen: kühn, auch wenn man danach von diesen Routen des fallenden Regentropfens zu Recht wieder abgekommen ist. Auch Solo-Geschichten haben die Zinnenwände geprägt, allen voran Alexander Hubers Free-Solo-Begehung durch die direkte Hasse-Brandler-Führe. Oder die Speedbegehungen der Comici-Route in weniger als einer Stunde durch Dani Arnold und Christoph Hainz. Der Einfluss der Zinnen auf die Entwicklung der Klettergeschichte ist jedenfalls enorm: Auf keinem anderen Berg ist so viel Adrenalin geflossen wie hier.
Ja, die Drei Zinnen sind meine Favoriten. Mit einer Ausnahme: Ich habe diese Berge auch bei Gewitter erlebt, dann ist da oben die Hölle los. Sie stehen da wie Antennen, völlig exponiert und ohne Schutz. Bei unsicherem Wetter kann ich nur von einer Besteigung abraten.
Mittlerweile habe ich die Zinnen so häufig und in jeder Jahreszeit erlebt, dass ich ein ganzes Buch darüber schreiben könnte. Sie sind das begehrteste Ziel meiner Gäste, die ich als Bergführer begleite. Und nirgends sehe ich nachher so glückliche Gesichter wie hier. Das liegt auch an den Voraussetzungen. Die Berge sind steil und kühn und trotzdem relativ sicher. Ein Restrisiko gibt es immer, aber es ist sehr gering, und das Erlebnis dafür riesig. Noch ein Vorteil: Besteigungen von Großbergen wie dem Montblanc sind immer mit Hüttenübernachtungen und ewig langen Märschen verbunden. Nichts für mich. Die Zinnen sind Aktionsberge, die an einem Tag zu meistern sind.
Der 1956 in Südtirol geborene Extrembergsteiger gehört zu den bekanntesten seines Fachs. Er stand auf 12 Achttausendern und meisterte als Erster eine von zwei Varianten der Seven Second Summits. In jeder Ausgabe von ALPS erzählt Kammerlander eine Geschichte, die ihn besonders geprägt hat.
Web: www.kammerlander.com